Das vereinfachte Ertragswertverfahren spielt eine zentrale Rolle bei der steuerlichen Bewertung von Unternehmen im Rahmen von Erbschaft und Schenkung. Es bietet eine schnelle, standardisierte Lösung, birgt jedoch auch Risiken, wenn die tatsächliche Unternehmenslage davon abweicht. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie das Verfahren funktioniert, wann es sinnvoll ist und warum sich in vielen Fällen ein individuelles Gutachten durch einen Sachverständigen lohnt.
- Das vereinfachte Ertragswertverfahren dient der steuerlichen Bewertung von Unternehmen bei Erbschaft und Schenkung.
- Die Berechnung erfolgt auf Basis des durchschnittlichen Jahresertrags der letzten drei Jahre, multipliziert mit dem festen Faktor 13,75.
- Die rechtliche Grundlage bildet das Bewertungsgesetz, insbesondere die Paragrafen 199 bis 203.
- Individuelle Risiken, Marktveränderungen oder Zukunftsaussichten bleiben unberücksichtigt. Das kann zu Über- oder Unterbewertungen führen.
Was ist das vereinfachte Ertragswertverfahren?
Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren zur Bewertung von Unternehmen, das insbesondere bei der Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer Anwendung findet. Es wurde eingeführt, um Bewertungsverfahren zu standardisieren und eine gleichmäßige steuerliche Behandlung sicherzustellen.
Die gesetzliche Grundlage bildet das Bewertungsgesetz (BewG), konkret die §§ 199 bis 203 BewG. Dort ist geregelt, wie der Unternehmenswert für steuerliche Zwecke zu ermitteln ist, insbesondere dann, wenn kein Verkehrswert durch Verkauf oder externes Gutachten nachgewiesen wird.
Im Gegensatz zum vollumfänglichen Ertragswertverfahren nach IDW S1, das in der Unternehmensbewertung für Kauf, Verkauf oder gerichtliche Auseinandersetzungen eingesetzt wird, verzichtet das vereinfachte Ertragswertverfahren auf Prognosen zur zukünftigen Entwicklung. Stattdessen werden die durchschnittlichen Ergebnisse der letzten drei Geschäftsjahre herangezogen und mit einem pauschalen Kapitalisierungsfaktor von 13,75 multipliziert.
Das Ziel: Eine vereinfachte, schnell durchführbare Bewertung, die Finanzämtern und Steuerpflichtigen eine nachvollziehbare Rechenbasis bietet, auch ohne tiefgehende Unternehmensanalyse oder Marktbetrachtung.
So funktioniert die Berechnung im Detail
Die Berechnung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren erfolgt schematisch in vier Schritten.
1. Ermittlung des Jahresertrags aus den letzten drei Geschäftsjahren
Als Basis dient der durchschnittliche steuerliche Jahresüberschuss vor Ertragsteuern aus den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren. Zu diesem Ergebnis zählen beispielsweise:
- Gewinn oder Verlust laut Steuerbilanz
- Zuschläge für kalkulatorische Kosten
- Neutralisierte Einmaleffekte
Maßgeblich ist das Unternehmensergebnis vor Steuern, nicht der handelsrechtliche Gewinn.
2. Hinzurechnungen: Diese Positionen erhöhen den Ertrag
Bestimmte betriebliche Vorgänge müssen dem Gewinn hinzugerechnet werden, wenn sie steuerlich nicht voll wirksam sind oder nicht dem typischen Geschäftsbetrieb zuzuordnen sind:
- Nicht abziehbare Betriebsausgaben (z. B. Bewirtungskosten, Spenden)
- Kalkulatorischer Unternehmerlohn bei Personengesellschaften und Einzelunternehmen
- Angemessene Miete oder Pacht bei betrieblich genutztem, aber externem Vermögen (z. B. bei fremdvermieteten Immobilien)
- Zinsfreies Fremdkapital, das den Gewinn verzerrt
3. Kürzungen: Diese Werte sind abzuziehen
Ebenso müssen bestimmte Positionen gekürzt werden, um den betrieblichen Ertrag korrekt zu erfassen:
- Erträge aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen, wie z. B.:
- Überschüssige Finanzanlagen
- Vermietete Immobilien, die nicht zum operativen Geschäft gehören
- Verluste aus außerordentlichen Geschäftsvorfällen
- Privatanteile bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern
Diese Kürzungen sorgen dafür, dass nur der nachhaltige betriebliche Ertrag bewertet wird.
4. Anwendung des Kapitalisierungsfaktors: 13,75
Der so bereinigte Jahresertrag wird mit einem gesetzlich festgelegten Kapitalisierungsfaktor multipliziert:
13,75 gemäß § 203 Abs. 1 Satz 2 BewG
Dieser Faktor basiert auf einem angenommenen Basiszinssatz sowie einem typisierten Risikozuschlag. Er unterstellt vereinfacht eine langfristige, gleichbleibende Ertragslage.
Beispiel: Unternehmensbewertung mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren
Ein mittelständisches Dienstleistungsunternehmen soll im Rahmen einer Schenkung steuerlich bewertet werden. Die letzten drei Geschäftsjahre haben folgende Jahresüberschüsse (vor Steuern) erzielt:
- 2022: 110.000 Euro
- 2023: 90.000 Euro
- 2024: 100.000 Euro
| Berechnungsschritt | Rechnung | Wert in € |
| Durchschnittlicher Jahresüberschuss | (110.000 + 90.000 + 100.000) ÷ 3 | 100.000 |
| + Hinzurechnungen | z. B. kalk. Miete (18.000 €), nicht abz. Kosten (2.000 €) | + 20.000 |
| – Kürzungen | z. B. Erträge aus nicht betriebsnotwendigem Kapitalvermögen (10.000 €) | – 10.000 |
| = Bereinigter Jahresertrag | 100.000 + 20.000 – 10.000 | 110.000 |
| × Kapitalisierungsfaktor (13,75) | 110.000 × 13,75 | 1.512.500 |
Der steuerliche Unternehmenswert beträgt 1.512.500 Euro.
Dieser Wert dient dem Finanzamt als Bemessungsgrundlage für die Ermittlung beispielsweise der Schenkungsteuer, es sei denn, der Steuerpflichtige legt ein Gutachten vor, das einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist (z. B. durch das IDW S1-Verfahren oder ein Verkehrswertgutachten nach § 194 Baugesetzbuch).
Typische Anwendungsfälle des vereinfachten Ertragswertverfahrens
Das vereinfachte Verfahren ist vor allem dann geeignet, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Ermittlung des Unternehmenswerts für das Finanzamt, z. B. bei Schenkung oder Erbschaft
- Betriebe mit konstanter Ertragslage in den letzten drei Jahren
- Kleinere und mittlere Unternehmen, bei denen die Bewertung möglichst unkompliziert erfolgen soll
- Unternehmensnachfolgen im Familienkreis ohne externen Käufer
Gerade in Erbengemeinschaften oder bei internen Übertragungen kann das Verfahren zeit- und kostensparend sein, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.
In bestimmten Fällen darf oder sollte das vereinfachte Ertragswertverfahren jedoch nicht angewendet werden:
- Hoher Anteil nicht betriebsnotwendiger Tätigkeiten
Wenn mehr als 30 Prozent des Unternehmenswerts auf nicht betriebsnotwendiges Vermögen entfällt (z. B. vermietete Immobilien, Finanzanlagen), ist das Verfahren unzulässig (§ 200 Abs. 3 BewG). - Volatile oder atypische Gewinne
Bei stark schwankenden Gewinnen oder einem Unternehmen in der Sanierungsphase führt das Verfahren zu verzerrten Ergebnissen. - Stille Reserven oder Sondervermögen
Bei Betrieben mit hohem Sondervermögen, das nicht betrieblich genutzt wird, kommt es zu Überbewertungen. - Start-ups oder Wachstumsunternehmen
Dafür ist das vergangenheitsorientierte Verfahren völlig ungeeignet, da zukünftige Gewinne nicht berücksichtigt werden.
Vergleich: Vereinfachtes Ertragswertverfahren und IDW S1
Das vereinfachte Ertragswertverfahren und das Ertragswertverfahren nach dem IDW S1-Standard verfolgen zwar das gleiche Ziel, nämlich die Bewertung eines Unternehmens auf Basis seiner Ertragskraft. Sie unterscheiden sich jedoch grundlegend in Methodik, Aussagekraft und Anwendungsbereich.
Während das vereinfachte Verfahren vor allem für steuerliche Zwecke gedacht ist, wird das IDW S1-Verfahren in der freien Wirtschaft, bei Verkaufsprozessen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen angewendet.
Wesentliche Unterschiede im Überblick
| Kriterium | Vereinfachtes Ertragswertverfahren | IDW S1 Ertragswertverfahren |
| Zielsetzung | Standardisierte Bewertung für Steuerzwecke | Realistische Marktwert-Ermittlung für wirtschaftliche Entscheidungen |
| Rechtsgrundlage | Bewertungsgesetz (§§ 199–203 BewG) | IDW S1 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer |
| Datenbasis | Vergangenheitswerte (letzte 3 Jahre) | Planungsrechnungen für Zukunftserträge (5+ Jahre) |
| Anpassungen | Pauschal, gesetzlich festgelegt | Individuell, basierend auf Unternehmensplanung und Risikoanalyse |
| Kapitalisierungszins | Einheitlich: Faktor 13,75 | Abgeleitet aus Basiszins + individuell berechnetem Risikozuschlag |
| Flexibilität / Individualisierung | Keine – stark standardisiert | Hoch – betriebswirtschaftlich fundiert |
| Eignung für Finanzamt | Ja (Primärzweck) | Ja, wenn durch Gutachten begründet |
| Eignung für Verkauf / Kaufpreisverhandlungen | Eingeschränkt bis ungeeignet | Ja, marktüblich |
| Kostenaufwand | Gering | Höher, wegen Analyseaufwand und Prognosemodellierung |
Steuerlich pragmatisch – strategisch zu kurz gedacht?
Das vereinfachte Ertragswertverfahren vereinfacht den Bewertungsprozess, birgt jedoch die Gefahr falscher Werte. Das Verfahren basiert auf festen Pauschalen, insbesondere dem Kapitalisierungsfaktor von 13,75, die unabhängig von Branche, Unternehmensrisiko oder Marktumfeld gelten. Auch die Betrachtung vergangener Jahre (stets drei Geschäftsjahre) lässt keinen Spielraum für Sonderentwicklungen, Trends oder Krisen. Die pauschalen Bewertungsansätze können in der Praxis zu deutlichen Abweichungen vom tatsächlichen Marktwert führen.
Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist ein pragmatisches Instrument, aber kein präzises. Für eine steuerlich optimale Bewertung sollte stets geprüft werden, ob ein Gutachten nach Verkehrswert nicht die bessere Lösung ist.
Ing. André Heid M.Sc.
Wann empfiehlt sich ein Gutachten durch einen Sachverständigen?
In vielen Fällen ist das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht die optimale Lösung, obwohl es auf den ersten Blick einfach erscheint. Besonders dann, wenn der tatsächliche Unternehmenswert deutlich vom pauschalen Steuerwert abweicht, kann ein Gutachten durch einen qualifizierten Sachverständigen steuerliche Vorteile bringen und Konflikte vermeiden.
Häufige Fragen zum vereinfachten Ertragswertverfahren
In diesem Abschnitt beantworten wir oft gestellte Fragen zum vereinfachten Ertragswertverfahren.
Wie wird der Jahresertrag berechnet?
Die Berechnung erfolgt auf Basis des durchschnittlichen Jahresüberschusses der letzten drei Geschäftsjahre (vor Ertragsteuern). Dieser Wert wird um betriebsbedingte Hinzurechnungen (z. B. kalkulatorische Mieten, nicht abziehbare Betriebsausgaben) sowie Kürzungen (z. B. Erträge aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen) angepasst. Das Ergebnis ist der sogenannte bereinigte Jahresertrag.
Was ist der Kapitalisierungsfaktor und warum liegt er bei 13,75?
Der Kapitalisierungsfaktor 13,75 ist gesetzlich festgelegt (§ 203 Bewertungsgesetz) und dient der Umrechnung des bereinigten Jahresertrags in einen Unternehmenswert. Er basiert auf einem pauschalierten Zinssatz und Risikozuschlag, unabhängig von Branche, Unternehmensgröße oder wirtschaftlichem Umfeld. Die Standardisierung soll den Verwaltungsaufwand für Finanzämter und Steuerpflichtige minimieren.
Wann ist das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht zulässig?
Das vereinfachte Ertragswertverfahren darf nicht angewendet werden, wenn dessen Ergebnis offensichtlich unzutreffend wäre. Das ist insbesondere bei Unternehmen der Fall, deren Gewinne stark schwanken, die von Einmaleffekten geprägt sind oder bei denen keine stabile Ertragslage vorliegt, beispielsweise bei Neugründungen oder komplexen Unternehmensstrukturen. Auch ein hoher Anteil von nicht betriebsnotwendigem Vermögen kann dazu führen, dass das Verfahren ungeeignete Ergebnisse liefert. In solchen Fällen kann das Finanzamt die Anwendung ablehnen und den Nachweis eines anderen (z. B. niedrigeren) Unternehmenswerts verlangen. Das Verfahren ist zudem ausgeschlossen, wenn es branchentypisch nicht üblich ist oder konkrete Vergleichswerte wie zeitnahe Verkäufe vorliegen.
Welche Verfahren stehen als Alternative zur Verfügung?
Als anerkannte Alternativen gelten das Ertragswertverfahren nach dem IDW S1-Standard, ein Verkehrswertgutachten nach § 194 Baugesetzbuch sowie das Substanzwertverfahren. Diese Methoden sind individueller und marktgerechter, erfordern jedoch eine detaillierte Analyse und sind mit höherem Aufwand verbunden. Sie kommen insbesondere bei Verkaufsfällen, gerichtlichen Auseinandersetzungen oder komplexeren Unternehmensstrukturen zum Einsatz.
Wie kann ich dem Finanzamt einen abweichenden Unternehmenswert nachweisen?
Ein abweichender, insbesondere niedrigerer Unternehmenswert kann durch ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachgewiesen werden. Das Bewertungsgesetz sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor (§ 198 Abs. 1 Satz 2 BewG). Das Gutachten muss nachvollziehbar und methodisch korrekt erstellt sein, um steuerlich anerkannt zu werden.